Benposta Los Frailes

Aus dem Fazit der Diplomarbeit 2006 von Christian Kocher zum Thema “Benposta – Los Flaires: Über Möglichkeiten und Grenzen der sozialen Arbeit in Venezuela”  Seiten 61ff.

“…Ich habe in meinem neunmonatigen Praktikum einen sehr guten und
detaillierten Einblick in die politische Welt Venezuelas und speziell in
die Tätigkeitsfelder Benpostas in Los Flaires bekommen. Aus dieser
Perspektive heraus möchte ich jetzt abschließend betrachtend
Stellung nehmen auf die Rolle der Einrichtung Benposta in einem
Staat, der soziale Programme ins Leben ruft, um die
Lebensbedingungen der armen Bevölkerungsgruppen zu
verbessern, doch dabei an viele Grenzen und Probleme stößt.

Maria Luisa hat vor ca. fünf Jahren das Projekt Benposta Los Flaires
ins Leben gerufen und damit einer in stärkster Notlage befindlichen
ethnischen Gruppe der Guajiro eine lebenswertere Existenz
ermöglicht.
Weitere Projekte befinden sich im Aufbau und in Planung. Sie gibt
den Kindern und Jugendlichen vor Ort neue Perspektiven und lehrt
sie durch die Vermittlung der Grundsätze Benpostas, Verantwortung
für sich und das eigene Handeln zu übernehmen, aber auch
gegenüber der Familie und dem Umfeld. Sie schafft es somit, mit
den bestehenden sozialen Strukturen innerhalb der ethnischen
Gruppe rücksichtsvoll umzugehen. Das Leben ist in dieser
abgeschiedenen und unwirtlichen Gegend täglich aufs Neue sehr
hart und stellt auch für die Umsetzung und Organisation des
Projektes immer wieder neue Probleme dar. Doch das größte
Problem ist die stets finanzielle Notlage, da das Projekt
ausschließlich von Spenden abhängig ist. Deshalb ist es dem
ständigen und besonderen Engagement von Maria Luisa zu
verdanken, die mit ihrem Einsatz und ihrer Energie die fehlenden
Mittel akquiriert. Aber wenn es dennoch zu Engpässen kommt, ist
sie besonders auf ihre Mitarbeiter angewiesen, die sich mit viel
Engagement, Glauben und Herz für dieses Projekt einsetzen, um
den Kindern und Jugendlichen Halt zu bieten.
Es ist sowieso eine erstaunliche Leistung, die alle Mitarbeiter dort
erbringen. Denn ohne in irgendeiner Weise studiert zu haben und für
solche Arbeit ausgebildet zu sein, bedienen sie sich trotzdem der
Methoden und Arbeitsfelder, die in Europa akademisiert und
„verwissenschaftlicht“ wurden. Doch hier scheint es nicht der
akademische Königsweg zu sein, der dieser Einrichtung den Erfolg
bringt, sondern vielmehr das Engagement und die Überzeugung der
Mitarbeiter für die Sache.
Es ist sowieso fraglich, oder besser gesagt, recht unwahrscheinlich,
dass man in diese Einrichtung Benposta ein europäisches System
integrieren könnte. Dazu fehlen regional einfach die Mittel, denn die
Abgelegenheit und infrastrukturelle Anbindung würden es schon
schwer machen, dafür auch nur in irgendeiner Weise ausgebildete,
qualifizierte Menschen zu gewinnen. Zudem bringt die Arbeit in
dieser Gegend noch einen riesigen Gefahrenfaktor mit sich, denken
wir nur an die politisch instabile Lage, die den Guerillas das Feld
überlässt. Dazu droht der ganzen Gegend bis zu zweimal im Jahr in
den Regenzeiten eine Überschwemmung, die das Vorankommen
und die Entwicklung dieses Standortes immer wieder sehr stark
zurückwirft.
Doch selbst der Staat unter Chavéz, der sich die soziale Verbesserung der gesamten Unter-/Armenschicht zu seiner politischen
Aufgabe gemacht hat, wird der Notlage in seinem Land nicht Herr.
Er unterstützt Benposta durch Lieferung von Nahrungsmitteln und
die Erbauung von Wohnhäusern für die Familien, doch existieren
kaum Kontrollen oder Erhebungen, die die Verteilung der Gelder
richtig regulieren, was eine extrem lange Zeit und Geduld benötigt,
um irgendeine Unterstützung tatsächlich zu erhalten.
Und deshalb ist Maria Luisa so immens wichtig für den Standpunkt
Benposta, weil kein anderer durch derartige Hingabe so viel in so
kurzer Zeit erreichen konnte. Doch stellt auch das ein großes
Problem dar, denn wenn sie irgendwann aus dem Projekt
verschwinden würde, gäbe es keinen, der ihr Werk übernehmen
könnte, da es keinen Menschen in ihrer Nähe mit diesem gleichen
Enthusiasmus gibt und dadurch der Standort Benposta mit einem
großen Risiko lebt. Hierin sehe ich das Problem. Wie kann in diesem
Projekt auf lange Sicht die Kontinuität gewährleistet werden, wenn
letztlich alles an eine Person gebunden ist?
Es bleibt jedoch festzuhalten, dass das Projekt praktisch nur durch
Menschen mit riesigem Engagement, Enthusiasmus und Herz
besteht. Sie können gerade in der Situation vor Ort mehr erreichen
und auf die Beine stellen, als man für möglich halten möchte. So
schien mir das Projekt während meines Aufenthalts eher als eine
Sache der Überzeugung und des persönlichen Engagements, als die
eines theoretischen Backgrounds zu sein. Zweifelsfrei bestimmt auch
letzteres das Projekt – formuliert es doch zumindest die Ziele und
damit bestimmte Wertvorstellungen, die es umzusetzen gilt.”